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Interview: Fragen zum Parametrismus - Patrik Schumacher im Gespraech mit Dietmar Danner (AIThesen)
Published in: AIThesen, Medium der AIT-Architktur Salons, Supplement von AIT – Architektur Innenarchitektur Technischer Ausbau, Stuttgart, Dezember 2011

 

AIT: Schlägt man bei Wikipedia Parametrismus (Parametricism) nach, so findet sich dort immer noch eine Erläuterung über das "Erzeugen von Geometrien mit Hilfe von Parametern." Ist es Ihr Ehrgeiz, den von Ihnen ausgerufenen architektonischen Parametrismus eines Tages bei Wikipedia auf Platz eins zu positionieren?

P.Sch.: Obwohl ich den Artikel nicht geschrieben habe, enthaelt der englische Wikipedia-artikel zu „Parametricism“ viele meiner Thesen. Das macht Mut. Aber Wikipedia ist mir weniger wichtig als die Expertendiskussion innerhalb des Architekturdiskurses.

AIT: Nach dem vorläufigen Ende der Moderne in den 80ern und dem Aus für die Postmoderne nur wenig später, glaubte man schon an ein Ende aller "Ismen". Sie fordern seit Jahren mit viel Einsatz  in der öffentlichen Debatte den Parametrismus als neue globale Stilrichtung. Ist dies in einer heterogenen Welt noch zeitgemäß?

P.Sch.: Ein guter Teil der Heterogenitaet der Welt von der sie sprechen ist meiner Einschaetzung nach eher ein temporaeres Phenomen des Epochenumbruchs als eine permanente Eigenschaft der Welt von heute und morgen. Der Rest an permanenter Heterogenitaet kann von der erhoehten, inherenten Vielgestaltigkeit des Parametrismus absorbiert und produktiv verarbeitet werden. Die Koherenz des Parametrismus ist eine Koherenz der abstrakten Prinzipien und Werte und nicht eine formale Gleichmacherei. Im Bann der Prinzipien des Parametrismus eroeffnen sich neue, bisher ungeahnte Freiheitsgarde der Gestaltung, und damit auch die Moeglichkeit vieler weiterer subsidiaerer Stile innerhalb des epochalen Stils des Parametrismus.

AIT: Zu den aktuellsten und weltweit am heftigsten diskutierten Themen gehört derzeit die Forderung nach "nachhaltiger Architektur" die sich entsprechender Konstruktionen und Materialien bedient. Inwiefern bietet Ihr Parametrismus darauf Antworten?

P.Sch.: Der Parametrismus ist seinen Prinzipien und Methoden nach kongenial in Bezug auf das Programm einer nachhaltigen Architektur. Die parametrische Adaptionsfaehigkeit des Parametrismus laesst sich insbesondere auch auf regional and saisonal variierende Klima-parameter anwenden. Wir postulieren eine morphologische und tektonische Differezierung von urbanen und architektonischen Strukturen in Abhaengigkeit von klimatisch-energetichen Parametern. Anstatt mit effizienteren Maschinen unter der Haube, arbeiten wir mit der adaptiven Modulation der urbanen und architektonischen Form. Wir lernen dabei von den vorindustriellen Baustrukturen der Welt, die evolutionaer eine erstaunliche bauliche-materielle Klima-intelligenz entwickelt hatten bevor mechanische Systeme diese Subtilitaeten vom Markt gefegten. Das heisst wir priviligieren passive Systeme. Die haben auch den grossen Vorteil, dass diese Systeme und Parameter die Architektur morphologisch, gesetzmaessig weiter differenzieren und damit die Lesbarkeit und Navigierbarkeit der gebauten Umwelt erheblich steigern. Der Parametrismus ist in der Lage, diese verschuettete Intelligenz auf wissenschaftlicher Basis wiederzugewinnen und auf neue, subtile Weise gestalterisch zu verwerten, nicht zuletzt auch im Sinne einer neuen, hoch artikulierten architektonischen Ordnung.

AIT: Lassen sich Herausforderungen wie "kultureller Regionalismus" in den Parametrismus integrieren? Oder hat der Parametrismus bewußt einen absoluten und globalen Anspruch?

P.Sch.: Die Moeglichkeit von Regionalismen ist im Parametrismus von vorneherein mitgedacht. Regionale Variation ist Programm. Das stellt den Anspruch auf globale Relevanz nicht in Frage. Die parametrische Adaptionsfaehigkeit des Parametrismus gilt fuer Kultur und Klima. Das heisst aber nicht, dass in den Regionen alles beim alten bleiben kann. Die Architektur des 21sten Jahrhunderts ist (mehr noch als die Architektur des 20sten Jahrhunderts) dezidiert eine Weltarchitektur. Jeder beobachtet jeden.  Parametrismus ist revolutionaere Erneureung der Weltarchitektur nach abstraken, universal gueltigen Prinzipien, im Sinne der Prinzipien der Differenziering und Korrelation. Das schliesst eine erhoehte Sensitivitaet in Bezug auf diverse Kontexte ein. Nur wenn man glaubt dass manche Regionen absolut und ausnahmslos ruckstaendig sind, kann man glauben dass dort der Parametrismus unangebracht ist. Meine Erfahrung ist aber, dass in allen Teilen der globalisierten Weltgesellschaft (progressive) Aspekte der post-fordistischen, vernetzten Gesellschaft zu finden sind und deshalb keine Ecke der Welt vom Fortschritt der globalen ‚Best Practice‘, die der Parametrismus in der Architektur darstellt, ausgeschlossen werden sollte. Der Iran ist ein gutes Beispiel hier. Die heranwachsende Generation von Iranischen Architekten hat sich zu einem guten Teil dem Forschungsprogramm des Parametrismus verschrieben.

AIT: Einige Kritiker warfen Ihnen in der Vergangenheit vor, die Baugeschichte zu verkürzen und   offensichtliche Vorläufer wie Mendelsohn oder Scharoun zu ignorieren? Haben Sie diese übersehen - oder sehen Sie sich nicht in dieser baugeschichtlichen Abfolge?

P.Sch.: Mendelsohn und Scharoun sind wichtige Referenzpunkte. Das gleiche gilt fuer Niemeyer. Man muss allerdings zwischen Regel und Ausnahme unterscheiden, wenn man epochale Stile definieren will. Scharouns Werk war eine Ausnahme, das den Dekonstruktivismus (nicht aber den Parametrismus) antizipiert hatte. Frei Otto war der einzige, echte Vorreiter des Parametrismus.

AIT: Sie beklagen, daß sich Hochhäuser noch immer der konzeptionellen Weiterentwicklung verweigern und nach rein quantitativen (also wirtschaftlichen) Gesichtspunkten entworfen und bewertet zu werden. Hochhäuser zählen tatsächlich zu den teuersten und zugleich kommerziellsten Bauten. Handelt es sich hier nicht um den falschen weil schwierigsten Ansatz, Ihre Parametrische Architektur in der Praxis zu erproben? Wären öffentliche Bauten wie Museen oder Konzerthäuser nicht geeigneter?

P.Sch.: In der Tat, Museen (insbesondere Museen fuer Gegenwartskunst) und oeffentliche Kulturbauten generell sind aufgrund mehrerer Gesichtspunkte ideale Vehikel fuer die experimentelle Erarbeitung und Verbreitung neuer Architekturstile. Oeffentliche Kulturbauten erreichen meist hoehere Budgets als kommerzielle Projekte. Kunstbauten sind oft freier in ihren Anforderungen als andere Bauten. Dazu kommt eine positive Erwartungshaltung und Neugier in der Oeffentlichkeit. Ein oeffentlicher Kulturbau ist eine gute  Gelegenheiten fuer Architektur mit Manifesto-charakter. Hier wird architektonische Innovation erwartet, wahrgenommen und diskutiert. Kulturbauten sind deshalb fuer die Architektur besonders wichtig und als Einstieg in die Verwirklichung von neuen Stilen besonders geeignet. Dabei kann es allerdings nicht bleiben wenn es um die Moeglichkeit eines epochalen Stils geht.  Da der Anspruch des Parametrismus nicht nur global sondern auch universal ist  - muss der Stil seine Vorteile und potentielle Ueberlegenheit in allen Gebaudekategorien und fuer alle Lebensbereiche unter Beweis stellen. Das inkludiert auch die Kategorie des Hochhauses.

AIT: Schon vor Jahren versuchte Foster, die traditionelle Hochhausstruktur aufzulösen. In Deutschland am bekanntesten sind die Himmelsgärten des Commerzbank-Turms in Frankfurt - in dem durchaus völlig neue innenräumlichen Organisationen erprobt wurden. Ist dieser Foster-Versuch für Sie gescheitert?

P.Sch.: Nein, dieses Projekt zeigt Moeglichkeiten auf, die wir auf parametristischer Grundlage weiterentwickeln wollen. Das gleiche gilt fuer Fosters Entwurf fuer die Hong Kong and Shanghai Bank, sowie fuer seinen Entwurf fuer Swiss Re in London. John Portmans fantastische Atrien sind gleichfalls wichtige Referenzpunkte unserer Hochhausforschung. Wir wollen allerdings noch mehr Komplexitaet, mehr Differenzierung, und eine Intensivierung der internen und externen Beziehungen. Alles soll mit allem kommunizieren.

AIT: Sie erforschen unter anderem völlig neue Konstruktionsweisen für Hochhäuser und kommen zum Ergebnis, die traditionellen Hochhauskerne durch Skelette abzulösen, Konstruktion und Zirkulation wieder zu trennen.  Ergibt sich dadurch eine Einschränkung im ewigen Wettstreit um das höchste Gebäude?

P.Sch.: Das mag sein. Dieser Wettlauf interesiert uns allerdings auch gar nicht. Das hat mit Architektur  nichts zu tun.

AIT: Der entscheidende Vorteil Ihrer Grundlagenforschungen im Hochhausbau ist die wiedergewonnene gestalterische Freiheit. Wofür soll diese Freiheit genutzt werden? Geht es Ihnen ausschließlich um Ästhetik?

P.Sch:Aesthetik ist wichtig, aber es geht uns keinesfalls nur um Aesthetik. Letzendlich kann es in der Architektur nur um die Ordnung von Lebensprozessen gehen. Aesthetik ist insofern involviert als es sich bei diesen Lebensprozessen immer im wesentlichen um gesellschaftliche Kommunikation handelt. Architektur rahmt soziale Kommunikation und ist selber eine Form von Kommunikation. Als solche funktioniert sie mittels ihrer Aesthetik, d.h. mittels ihrer Sichtbarkeit, Lesbarkeit, Atmosphaere und Attraktivitaet.

AIT: Sie beschreiben in Ihrem Grundlagentext das Verhältnis von Ordnung und gleichzeitiger Vielseitigkeit. Und Sie merken an, daß der sozialisierte Nutzer diese Bauten "(hoffentlich)"  begreift. Ist die architektonische Ordnung bereits abgekoppelt vom Nutzer und seinen Möglichkeiten, diese auch im nichtsozialisierten Zustand zu begreifen oder vollzieht die Architektur lediglich ein Entwicklung nach, die in der breiten Massenkultur des Internets schon längst gelebt wird.

P.Sch.: In meinem Buch und theoretischem Hauptwerk „The Autopoiesis of Architecture“ schlage ich vor, dass die Architektur  - verstanden als akademische Diziplin und Profession -  sich mit neuen theoretischen Resourcen aufruesten sollte, und zwar entlang der drei Dimensionen von Organisation, Phenomenologie und Semiologie. Dem entspricht die Tatsache, dass Architektur in dreifacher Hinsicht fuer und mit uns funktionieren muss: fuer uns als sich durch den Raum bewegenende Koerper, fuer uns als wahrnehmende Subjekte, und fuer uns als sozialisierte, kommunikative Akteure. Ordnung involviert mehr als nur die physische Organisation von Koerpern. Es muss Artikulation hinzukommen, sowohl phenomenologische. als auch semiologische Artikulation. Deshalb laesst sich in meinen System die architektonische Ordnung nicht vom Nutzer abgekoppeln. Der Nutzer ist immer vorausgesetzt, sowohl als (vor-sozialisiertes) wahrnehmendes Subjekte, als auch als sozialisierter  Akteur.  Auffaelligkeit fuer unsere Wahrnehmungskapazitaet ist Voraussetzung fuer Lesbarkeit. Sozialisierung mit Hinsicht auf semiotische Deutungssysteme muss in allem komplexeren Gebilden hinzukommen.

AIT: Ihr Parametrismus habe das Zeug dazu - sagen Sie - eine neue "architektonische  Ordnung" entstehen zu lassen. Verabschieden Sie sich damit endgültig von der einstigen Rolle in der einsamen Avantgarde?

P.Sch.: Die Ambition kann nicht ausbleiben. Eine Avant-garde, die nich den Mainstream erobern kann oder will, ist keine Avant-garde. Ohne Nachhut, keine Vorhut.



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